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TUNINGHUNTERS MAGAZINE

Controversial

Ich bin von damals – und ich bin noch da

EIN TUNINGHUNTERS BERICHT

 

Dieser Artikel ist kein nostalgischer Rückblick. Er ist ein kontroverser Standpunkt zur Tuning Szene – damals und heute. Geschrieben von jemandem, der nicht nur da war, als alles anfing – sondern immer noch da ist.

Kapitel 1 – Damals war Tuning…

Man hat sich nicht über Follower definiert, sondern über Felgenmaß und Einpresstiefe. Wer sich damals bei uns auf den Schotterplatz gestellt hat, kam nicht wegen Likes – sondern weil er Bock hatte, sein Auto zu zeigen. Keine Eventtickets, kein Merch-Stand, kein Influencer, der sich auf der Haube räkelt. Einfach Leute, Karre, Bier – und Benzingespräche bis drei Uhr nachts oder bis zum Sonnenaufgang.

Damals – das war Ende der 90er.
Wenn du da mit ’nem Jetta 2 oder Kadett E vorgefahren bist, wussten die Leute: Der meint’s ernst. Ein tiefer E30 mit Stahlfelgen war kein Hipster-Gag, sondern Alltag mit Stil – und Tiefgang. Und wer nen Golf 3 GTI Edition hatte, wurde aufm Platz nicht beneidet, sondern gefragt, wie viel er schon selbst gemacht hat.

Tuning hieß: Handschuhe, Garage, Probleme lösen, nicht Komponenten bestellen. Fahrwerk eintragen war ein halber Feiertag. Und wer mit nem gepulverten Satz RH Cup, Brock B1 oder Borbet A aufkreuzte, war King – ohne irgendwas dafür posten zu müssen.

Man hat Fotos gemacht, klar – aber mit ner Canon EOS 10D oder ner Nikon D70. Und die gingen nicht direkt online. Die gingen auf ne CD für die Crew, oder in Foren – wie „keinVW.de“ oder die „Motorscene“ oder wo du halt warst. Da hat man Bilder nicht in 24 Stunden vergessen – man hat sie sich angeschaut. Immer wieder.

Man hatte Respekt. Nicht vor Geld – sondern vor Zeit oder vor den handgefertigen Dingen die da so am Auto saßen. Wenn einer gesagt hat: „Stoßstange und Schweller sind Eigenbau“, dann war klar: Der Typ hat Ahnung. Und wenn man sich nicht kannte, dann hat man sich vorgestellt. Kein Nickname, kein Handle – sondern einfach: „Hi, ich bin der/die….“

Es war definitiv nicht immer schön, da müsste ich schon Lügen. Aber es war echt. Und echt ist heute verdammt selten geworden.

Kapitel 2 – Wie ich reinkam

Ich war keiner von denen, die sich was gemietet, geliehen oder santandert haben, um dazuzugehören. Ich war durch Zufall da und ich bin einfach irgendwann geblieben.

Mein Einstieg? Kein Plan, kein Ziel, kein „Ich will dazugehören“.
Ich bin mit meinem Manta B GSI zufällig am Opelfest Frotheim vorbeigefahren – und hab angehalten, weil ich wissen wollte, was dort los war.

Ein staubiger Acker, voll mit tiefergelegten Kadetts, Mantas, Asconas, Astras, Vectras, Calibras und was es noch so alles gab. Ich kannte so was nicht, ich hatte Bock auf die Formen meines Manta B, aber ich hatte damals zuvor noch nie etwas von Opel-Events, Opeltreffen oder wie in diesem Fall Opelfest gehört. Der Geruch von Grill, der Sound von zu viel Bass aus zu kleinen Radios – und das Gefühl, angekommen zu sein, all das war irgendwie alles unbezahlbar und steckt mir jetzt noch in meinen Adern. Und ich weiß sogar noch genau, wie der Veranstalter-Club hieß: Es war der Opel Club Rhenus aus Frotheim/Hille.

Hinter fast jedem Auto stand ein Zelt – Camping war Pflicht, nicht Kür. Mit 15 Zoll Felgen, warst du der King, 16 Zoll war kaum zu leisten, passte aber auch nicht in viele Radkästen. Aber was damals auch sehr zählte, war der Tiefgang – in Zentimetern und in Gesprächen.
Abends versammelte man sich am Lagerfeuer, der Himmel war orange, die Gespräche tief – und der Whiskey-Cola schmeckte, als wär’s ein Feiertag. Nun gut, war es ja auch in gewisser Weise, denn es ging nicht um Reichweite, sondern um Reichweite unter 10 Zentimetern, um Tiefgang, im doppelten Sinne und um die Gemeinschaft. Danach ging man noch ins Festzelt und hat gefeiert, einfach nur gefeiert – ohne Zwang und scheiß egal was man für einen Wagen fuhr.

Damals thronten lustige Aufkleber auf den Heckscheiben ala F*ckschnitzer oder Jägerschnitzel anstatt Jägermeister, oder aus dem Kennwood Aufkleber wurde Kondom gemacht – heute hat man überall nur Marken und Unternehmen draufkleben. Damals ging es um lustiges und Schmunzenldes, heute um coolness.

Und irgendwo – irgendwo lief doch immer Musik. Mal Techno, mal Rock, oft querbeet. Aber eins kam fast überall vor: Böhse Onkelz. Nicht jeder war Fan, ich ehrlich gesagt auch nicht – aber sie waren da, aber ich war auch froh, es bis zum nächsten Event nicht mehr hören zu müssen. In jedem dritten Auto, aus jedem zweiten Subwoofer.
Die Texte waren meist über Außenseiter, Zusammenhalt, Rebellion – aber das passte irgendwie. Nicht politisch, nicht gezwungen – es war einfach Szene.
Man hat’s gehört, weil’s dazugehört hat.

Tagsüber dann der typische Platzsound: Generatormucke, Mischmasch aus Bass, Herforder, Bitburger und Werkzeugklappern. Und wenn man’s genau hörte, wusste man: Das ist kein Festival. Das ist Szene.

Tagsüber? Da war doch noch was… Genau, Tagsüber gab es dann auch noch das Schlendern durch die kleine Händlermeile: Weiße Blinker, Haubenlifte, Schrothgurte, bunte Gurtpolster, Lenkräder mit Aluring, 28er MOMO Lenkräder, 30er RAID Lenkräder, Autoradios mit Equalizer-Lichtshow – was für ein Traum und dazu noch alles zum Anfassen, Anbauen, Ausprobieren. Ja, man durfte ausprobieren und das ohne Pfand! Und gekauft hat man es letztendlich sowieso. Nicht weil’s „limited“ war, sondern weil man Bock hatte und es irgendwie cool war.

Und dann natürlich: Der Sexy Carwash.
Ein bisschen Kirmes, ein bisschen Klischee – aber keiner hat weggeschaut, als junge Mädels oben ohne einem das Auto wuschen. Es war die Zeit der ersten Piercings und das Staunen darauf und er war einfach Teil des Ganzen und ja, Frauen hatten auch geschaut!
Die Autos wurden eingeschäumt, Wasser spritzte in alle Richtungen, überall Gelächter und gute Laune, Applaus – und mittendrin das Gefühl: Hier geht’s nicht nur ums Auto, sondern ums Erleben.

Ich hatte da noch keine Kamera dabei. Aber ich hatte Augen – und die Szene hat sich tief in mich eingebrannt.
Später kam das Fotografieren. Nicht für Likes. Für’s Festhalten! Für diese Momente, die man nicht wiederholen kann – aber zeigen will.

Ich war nicht der Typ mit dem auffälligsten Auto oder der besten Ausstattung.
Ich war der, der da war. Der, der geblieben ist.
Weil es für mich nicht nur ein Wochenende war – sondern der Anfang einer Geschichte, die bis heute läuft.

Kapitel 3 – Heute ist alles Content

In der Tuning Szene damals und heute liegen Welten. Heute ist Tuning oft durchgeplant wie ein Marketingkonzept… Es wird gepostet, bevor geschraubt wird. Gefilmt, bevor der Motor warm ist. Die Umbauten – perfekt inszeniert. Die Bilder – mit Preset. Die Texte – mit ChatGPT. Und irgendwo dazwischen sitzt ein echter Schrauber, der sich fragt, ob er überhaupt noch dazugehört.

Versteh mich nicht falsch: Die Qualität ist gestiegen!
Heute kannst du alles kaufen – vom Airride über Showfelgen bis zur Ready-to-post-Fotoserie. Aber du kannst dir eben keine Haltung kaufen. Kein Feingefühl. Kein Respekt.

Stattdessen knallen manche ihre kalten Motoren in den Drehzahlbegrenzer, als wär’s ein Wettbewerb. Pop & Bang ist zur Showeinlage geworden – egal, ob neben Kindern, Hunden oder Fußgängern. Ich hab’s selbst erlebt: Einer ballert mit locker über 170 km/h über ein Rollfeld – direkt an mir vorbei.
Kein Blick, kein Respekt, kein gar nichts. Hauptsache laut, Hauptsache Applaus im Handy.

Früher hast du Rücksicht genommen, weil du Teil von etwas warst. Heute fühlen sich manche wie die Hauptrolle in ihrem eigenen Actionfilm. Aber Tuning war nie Ego-Trip. Es war Community. Verantwortung. Szene – nicht Selbstdarstellung.

Und genau da liegt der Bruch. Was früher ein ehrlicher Ausdruck war, artet heute bei einigen zur Selbstdarstellungs-Show aus. Da geht’s nicht mehr um Tiefe – da geht’s nur noch um Wirkung. Um den Schein, nicht um Substanz.

Aber weißt du was?

Genau deswegen bleib ich ruhig. Weil ich noch weiß, wie sich echtes Tuning anfühlt. Und weil ich heute mehr denn je weiß, warum ich nie aufgehört habe.

Kapitel 4 – Ich bin noch da

Ich hab nie aufgehört. Nicht weil ich nichts anderes konnte – sondern weil ich nichts anderes wollte.

Ich bin nicht dabei geblieben, um Fame abzugreifen. Ich hab fotografiert, als es noch keine Likes gab – nur verdreckte Schuhe, beschlagene Objektive und ein Schulterklopfen vom Besitzer, wenn du den Moment getroffen hast. Heute schießen viele ihre Bilder für den Algorithmus. Aber echte Szene ist mehr als Preset und Pop-up-Blitz.

Ein Fotografenfreund hat’s gestern auf den Punkt gebracht:
👉 „Viele wissen nicht, dass wir alten Hasen die Grundlage gelegt haben. Ohne uns gäbe es deren Instagram-Karriere gar nicht.“

Und er hat recht.
Denn auch wenn heute viel glänzt – die Wurzeln liegen im Dreck. In Nächten auf Events ohne Schlaf. In Tagen, wo du das Auto nicht mal starten konntest, weil du vorher noch die Batterie vom Spotter geladen hast. Und in Momenten, wo du trotz Kamera einfach nur da warst – nicht fürs Bild, sondern für den Augenblick.

99,9 % der Besucher heute wissen das. Und sie sind dankbar. Das ist die Hauptsache. Nicht Fame, nicht Klicks, sondern:
➡️ „Ey, danke. Du hast das eingefangen, was ich gefühlt hab.“

Aber manchmal… gibt’s auch leider andere Seiten. Da wird gefragt, ob man ein Shooting gegen Sex macht. Oder halt auch mal für ’nen schnellen „Gegenwert“.
Als wär Fotografie nichts wert – und der eigene Körper auch nicht mehr. Nicht alle sind so, bei weitem nicht. Aber wenn’s passiert, dann fragt man sich:
Was ist da eigentlich schiefgelaufen?

Ich mach Bilder, um Geschichten zu erzählen – nicht um Würde zu verkaufen. Und das sage ich nicht nur für mich, sondern für alle, die noch mit echter Leidenschaft dabei sind.
Für die, die in jedes Foto Zeit, Gefühl und Herzblut legen. Nicht jeder hat das verdient – aber die Szene hätte es verdient, dass man sie respektiert.

Ich bin nicht der Beste. Ich will’s auch gar nicht sein. Ich will nur abliefern. Ohne Filter, ohne Show, aber mit Seele. Weil ich weiß, wie viel das bedeutet – und wie wenig es heute noch geben kann.

Ich bin kein Influencer. Ich bin ein Zeitzeuge. Keiner, der sich in den Vordergrund drückt. Aber einer, der geblieben ist, als andere längst weitergezogen sind.

Und genau deswegen sage ich das mit Stolz:
Ich bin noch da.

Kapitel 5 – Kein Rückblick ohne Ausblick

Ich bin von damals. – Aber ich bleib nicht im Damals stecken.

Ich weiß, woher ich komme.
Ich weiß, was mich geprägt hat.
Aber ich weiß auch, wo ich heute stehe – und warum ich nicht so geworden bin, wie viele es inzwischen sind.

Ich will nicht zurück in die Vergangenheit – ich will nur, dass man wieder weiß, warum man angefangen hat.
Ob als Schrauber, Fotograf, Veranstalter oder einfach als Teil der Szene. Nicht für Fame. Nicht für Content. Sondern für das Gefühl, dabei zu sein.
Für den Moment, wenn du morgens aufwachst, aus dem Zelt steigst, die ersten Sonnenstrahlen auf die Haube treffen – und du weißt: Genau deswegen bin ich hier.

Ich fotografiere nicht, weil ich muss. Ich fotografiere, weil ich es kann – und weil ich etwas zu sagen habe.
Nicht laut. Nicht schrill. Aber mit Respekt. Mit Blick für die, die noch wirklich was machen. Für die Veteranen, die sich nie haben unterkriegen lassen. Und für die Rookies, die’s ernst meinen.

Ich will keine Szene verändern.

Ich will sie sichtbar machen – mit Haltung. Mit Blick. Und mit Tiefgang.

Genauso wie sie ist: roh, menschlich, unperfekt, leidenschaftlich.

Und wenn das nicht jedem gefällt? Dann ist das okay.

Ich hab nie für jeden fotografiert.

Aber ich fotografier für die Richtigen.

Ich hab beides erlebt: Die Tuning Szene damals – und die heute.

Und genau deswegen weiß ich, was echt ist.

Denn am Ende zählt nicht, wie viele dein Bild gesehen haben.

Sondern wie viele sich darin wiedererkennen.

Nicht weil’s cool ist.

Sondern weil ich nicht anders kann.

Ich bin von damals.

Ich bin noch da.

Und Ich hab noch was vor .

 

Text: Sascha Gebauer

 

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